Rückblick auf ein bewegtes Halbjahr

Outing, Erfahrungen am Arbeitsplatz
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Sarah
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Rückblick auf ein bewegtes Halbjahr

#1 Beitrag von Sarah » Dienstag 13. Juni 2006, 05:24

Werte Leserinnen und Leser meiner pseudoliterarischen Ergüsse. Da ich heute aus einem unerdenklichen Grund ein grosses Mitteilungsbedürfnis habe und mir der Gedanke kam, dass diese Zeilen vielleicht jemandem gar auf ihrem oder seinem weg eine Hilfe sein könnten, habe ich mich dazu entschieden, sie zu verfassen...

Wie es wahrscheinlich den meisten TS / TV /CD oder Homosexuellen vor einem Outing ergangen ist, waren bei mir die vorherrschenden Gefühle Angst, Hoffnung, Skepsis und noch mehr Angst. Dazu kam bei mir das Gefühl, dass die momentane Situation nicht mehr tragbar sei und ich früher oder später etwas tun müsse. Mein erster "richtiger" Auftritt als Frau war in London im Dezember 2005. In einer derart grossen Stadt hatte ich natürlich den Vorteil, dass ich vielleicht etwas mehr doch kaum drastisch auffiel. Kurz darauf begann ich damit, meine ersten schüchternen Versuche in Zürich zu machen. Dank der gewonnenen Selbstsicherheit in dieser grösseren Stadt folgten bald erste Versuche in Bern und bald darauf gar der Beginn meiner Therapie. Einige Wochen später – es war Ende Januar 06 – hatte ich zusammen mit zwei Klassen des Gymnasiums eine Exkursion nach Stuttgart. Da ich bereits gegen Ende 2005 begonnen hatte, viele Leute aus meinem Umfeld zuerst mit Anspielungen und später ebenfall mit Fakten auf meine Transsexualität aufmerksam zu machen, erklärte ich – zuerst mehr im Scherz – ich werde am Abend im Ausgang als Frau mitgehen. Jedenfalls erinnerte mich einige der Schulkollegen daran und da die meisten Mitschüler sowieso bereits um meine Transidentität wussten, entschloss ich mich schliesslich dazu, meine Ankündigung wahr zu machen – oh Wunder, meine Klamotten hatte ich natürlich dabei – wahrscheinlich war meine Anspielung doch etwas mehr als bloss ein Scherz gewesen…
Wie auch immer, nach einiger Zeit vor dem Spiegel und einem ausgeprägten Kribbeln im Bauch, machte ich mich auf den Weg. Erstaunlicherweise fand ich nur positive Reaktionen bei meinen Mitschülern, wenn auch einige der Parallelklasse im ersten Moment etwas verwirrt waren – doch da ich bereits vorher ein etwas androgynes Wesen gewesen war, schien die Überraschung sich in Grenzen zu halten. Es war alles in allem ein gemütlicher – wenn auch in dem knielangen Rock verdammt kalter – Abend.
Als ich am nächsten Morgen aufstand und vor den Spiegel trat, wurde mir plötzlich klar, was mir bereits einige Zeit im Unterbewusstsein herum geschwebt war: was nun?
Ich überlegte kurz, ob ich nun wirklich wieder in den „alten“ Klamotten nach unten gehen wollte – alles wie zuvor doch um eine schöne Erinnerung reicher? Ziemlich rasch war mir klar, dass ich dafür keinen Grund mehr hatte – einen Schritt rückwärts wollte ich keineswegs tun, ich hatte bereits mehr als acht Jahre bewusst auf diesen Moment gewartet, Tränen vergossen, ihn mir ausgemalt... Nein, für mich gab es kein Zurück mehr.
Als ich schliesslich mit Handtasche, Rock, etwas anderer Figur und leicht geschminkt nach unten ging, hatte ich trotz allem wieder diese Angst vor dem Ungewissen, wenn auch nur leicht. Zuerst betrachtete mich der Exkursionsleiter etwas verwirrt, doch als ich ihn das zweite Mal sah, sagte er bloss, dass ich gut aussehe - der Damm war gebrochen. Selbst die Zöllner bei der Rückreise in die Schweiz betrachteten mich nur etwa eine Sekunde länger als die Anderen.
Kaum war ich wieder Zuhause, überkam mich jedoch die altbekannte Angst. Ich war mir zwar bewusst, dass ich keinesfalls einen Rückzieher machen würde, doch was, wenn mich jemand nicht akzeptieren würde? Ich blieb den nächsten Tag mit mittlerer Paranoia dem unterricht fern. AM Tag darauf jedoch gab ich mir den lange ersehnten Tritt und zum ersten Mal bestieg klein Sarah den Pendlerbus, von ihren Quartiersanwohnern der Kleinstadt mit Erstaunen betrachtet. Im Gymnasium angekommen musste ich als erstes einige Dokumente abheften, weshalb mich eine Lehrerin ansprach, da sie das selbe Gerät ebenfalls dringend benötigte. „Sind sie eine Schülerin von hier?“
Als ich schliesslich das Klassenzimmer betrat, waren zwar jene Schüler, welche mit auf der Exkursion waren, nicht weiter erstaunt, doch die anderen ziemlich verwirrt. Einige hielten mich gar für eine Austauschschülerin – Volltreffer!
Ich führte dann auch noch ein ausführliches Gespräch mit meiner Klassenlehrerin, welche bereits vor mir TS kannte, wobei die Geschichte der einen jedoch etwas tragisch geendet hatte, weshalb sie zuerst etwas besorgt war. Schliesslich konnte ich ihr jedoch ohne weitere Probleme erklären, dass alles in Ordnung sei und ich mich bloss entschlossen habe, meinen Weg zu gehen, was sie aufrichtig freute. Ein ähnliches Gespräch hatte ich noch mit einen zweiten Lehrer, es verlief ebenfalls bestens. Mittlerweile nennt mich der Grossteil der Lehrer und Schüler bei meinem weiblichen Namen, wenn dazu auch Unmengen an Erklärungen notwendig waren und ich häufig gar das Gefühl hatte, kurz vor der Verzweiflung zu stehen, wenn ich mit meinem männlichen Namen angesprochen wurde. Die am meisten verbreitete Frage war jedoch der altbekannte Klassiker, welcher bei mir immer von neuem für Belustigung sorgt: „Welche Toilette benutzt du nun eigentlich?“
So wie es im Moment aussieht, stehe ich nun kurz vor dem Beginn meiner Hormontherapie und dem Anfang meines Studiums. Ich könnte zwar sagen, das sich wirklich glück hatte, mein Outing in einem liberalen Gymnasium machen zu können, doch manchmal habe ich das Gefühl, dass es so oder so auf die eine oder andere Art klappen muss. Ich will nicht abstreiten, dass das Leben als leider noch ziemlich auffällige Transfrau in einer derart kleinen Stadt auch gewisse Kehrseiten hat – ich gehöre eindeutig zur lokalen Prominenz und werde nicht selten auch beleidigt oder belästigt – wenn ich auch mittlerweile mit arroganter überlegener Ignoranz oder schmerzlich treffendem Sarkasmus antworte. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass im grossen und Ganzen alles besser als erwartet gelaufen ist. Zu den restlichen Reaktionen denke ich mittlerweile bloss, dass Einstein bezüglich Dummheit wohl doch nicht ganz Unrecht hatte…
Nun, ich hoffe mit dieser kleinen Geschichte nicht ein neues Weblog eröffnet sondern einen einigermassen sinnvollen Beitrag verfasst zu haben, welcher solchen, die ein Outing planen, Mut machen kann…

PS: Wer nun denkt, dass bei mir alles in einer zeitlich sehr kurzen Abfolge geschehen ist, hat durchaus Recht. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass ich nach acht Jahren Wartezeit keine Lust mehr auf das ewige Versteckspiel hatte. Rückblickend war dieses halbe Jahr eine meiner chaotischsten Zeiten. Viele unterschiedliche Emotionen, dazu Notenstress und vieles mehr… doch eines habe ich gelernt: es ist erstaunlich, auf wie viel Toleranz ich gestossen bin und das Selbe wünsche ich allen anderen ebenfalls… Viel Glück auf eurem Weg, Mädels! Jede Schritt kann weh tun, verletzen oder in den Abgrund führen – doch jeder Schritt eröffnet ungeahnte Mengen an neuen Optionen und ein Stück mehr Lebensfreude…

Liebe Grüsse
Eine nun doch noch zu Bett gehende Sarah
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Andrea
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#2 Beitrag von Andrea » Dienstag 13. Juni 2006, 20:49

Hallo Sarah

Merci für deine umfangreiche Erlebnisschilderung und wie schon gesagt wurde manches wird einfacher und man gewöhnt sich auch an einiges und einigies wird noch ziehmlich lang weiternerven aber das ist auch gut zu überstehen mit ein wenig Geduld.

Deshalb wünsche dir will Geduld und Energie für deinen Weg, und tue nichts überstürzen denn neue Rolle braucht seine Zeit.

Grüässli
Andrea

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Luisa
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#3 Beitrag von Luisa » Mittwoch 14. Juni 2006, 18:06

Werte Sarah

Auch meinerseits sei gedankt zu Deinem Texte. Denn, in der Tat, können solch Alltagschilderungen und Erfahrungsberichte viel Kraft betroffenen Menschen vermitteln. Oft sind es eher kleine aber schier unüberwindbar wirkende Hürden die sich Frau in den Weg zu stellen scheinen. Hürden die letztlich nach dem erfolgten Sprung doch trivialer sind als Frau je zu denken wagte.

Schön das Du dein Weg gefunden hast. In diesem Sinne sei Dir weiterhin viel Glück, Freude, Kraft und Selbstvertrauen gegeben um alle noch kommenden Hürden mit besagter Bravour zu nehmen.

Liebi Grüessli

Luisa
Die momentan eher schreibfaul die Sonne geniessen tut.

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Sarah
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#4 Beitrag von Sarah » Donnerstag 15. Juni 2006, 13:23

Besten Dank euch allen. Wahrscheinlich war dieser Text bloss das Resultateiner jener spontanen Phasen, wo ich einfahc gerde alles schreiben tu, das mir einfällt - dass etwas, welches noch Verwendung finden kann dabei war, freut mich ;)
Liebe Grüsse
Sarah
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andrea_mirjam
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#5 Beitrag von andrea_mirjam » Sonntag 16. September 2007, 13:13

Finds toll, dass es bei dir so gut geklappt hat.

Hab mir dies auch schon so überlegt, da ich jedoch aus faulheit zu oft aufs rasieren verzichte - Frau hat das ja nicht nötig - und meine kopfhaare ebenfalls ungenügend sind, fühle ich mich schlicht noch zu lächerlich, um komplett als Frau aufzutreten und solange ich mir nicht genug gefalle, werde ich nicht anderen diesen Anblick antun ;-)

Angst hab ich sicher auch, aber Leute vor den Kopf zu stossen, antürlich sanft, ist seit eh und je ein Hobby von mir und somit freue ich mich regelrecht darauf, mal wieder zu provozieren, allerdings eben nur, wenns für mich stimmt. Mit halbglatze und noch so feinem bart-schatten mag ich das dann doch nicht machen...provozieren ja, aber übertreiben sollt mans auch nich, sonst kriegt die oma von nebenan noch nen herzinfarkt *g*

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#6 Beitrag von Sarah » Montag 17. September 2007, 00:04

o_O, hab ganz vergessen, was ich da mal gepostet hab ;) Danke für deine Antwort!
Nun, ganz unauffällig bin ich sicherlich auch noch nicht, aber was solls, nobody's perfect^^ Omas sind wohl auch bei mir einige erschrocken, eimal hat sogar mich eine erschrocken. Na, beim Vor-Den-Kopf-Stossen bin ich auch nicht allzu schlecht, wenn manchmal auch ziemlich rabiat - glaub mir, du wirst sicher noch einige damit vor den Kopf stossen, manchmal sogar die, die nicht auf den Kopf gefallen sind ;)

Liebe Grüsse
Sarah
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melanie
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Re: Rückblick auf ein bewegtes Halbjahr

#7 Beitrag von melanie » Freitag 18. Dezember 2009, 10:08

Sarah hat geschrieben:Werte Leserinnen und Leser meiner pseudoliterarischen Ergüsse. Da ich heute aus einem unerdenklichen Grund ein grosses Mitteilungsbedürfnis habe und mir der Gedanke kam, dass diese Zeilen vielleicht jemandem gar auf ihrem oder seinem weg eine Hilfe sein könnten, habe ich mich dazu entschieden, sie zu verfassen...

Wie es wahrscheinlich den meisten TS / TV /CD oder Homosexuellen vor einem Outing ergangen ist, waren bei mir die vorherrschenden Gefühle Angst, Hoffnung, Skepsis und noch mehr Angst. Dazu kam bei mir das Gefühl, dass die momentane Situation nicht mehr tragbar sei und ich früher oder später etwas tun müsse. Mein erster "richtiger" Auftritt als Frau war in London im Dezember 2005. In einer derart grossen Stadt hatte ich natürlich den Vorteil, dass ich vielleicht etwas mehr doch kaum drastisch auffiel. Kurz darauf begann ich damit, meine ersten schüchternen Versuche in Zürich zu machen. Dank der gewonnenen Selbstsicherheit in dieser grösseren Stadt folgten bald erste Versuche in Bern und bald darauf gar der Beginn meiner Therapie. Einige Wochen später – es war Ende Januar 06 – hatte ich zusammen mit zwei Klassen des Gymnasiums eine Exkursion nach Stuttgart. Da ich bereits gegen Ende 2005 begonnen hatte, viele Leute aus meinem Umfeld zuerst mit Anspielungen und später ebenfall mit Fakten auf meine Transsexualität aufmerksam zu machen, erklärte ich – zuerst mehr im Scherz – ich werde am Abend im Ausgang als Frau mitgehen. Jedenfalls erinnerte mich einige der Schulkollegen daran und da die meisten Mitschüler sowieso bereits um meine Transidentität wussten, entschloss ich mich schliesslich dazu, meine Ankündigung wahr zu machen – oh Wunder, meine Klamotten hatte ich natürlich dabei – wahrscheinlich war meine Anspielung doch etwas mehr als bloss ein Scherz gewesen…
Wie auch immer, nach einiger Zeit vor dem Spiegel und einem ausgeprägten Kribbeln im Bauch, machte ich mich auf den Weg. Erstaunlicherweise fand ich nur positive Reaktionen bei meinen Mitschülern, wenn auch einige der Parallelklasse im ersten Moment etwas verwirrt waren – doch da ich bereits vorher ein etwas androgynes Wesen gewesen war, schien die Überraschung sich in Grenzen zu halten. Es war alles in allem ein gemütlicher – wenn auch in dem knielangen Rock verdammt kalter – Abend.
Als ich am nächsten Morgen aufstand und vor den Spiegel trat, wurde mir plötzlich klar, was mir bereits einige Zeit im Unterbewusstsein herum geschwebt war: was nun?
Ich überlegte kurz, ob ich nun wirklich wieder in den „alten“ Klamotten nach unten gehen wollte – alles wie zuvor doch um eine schöne Erinnerung reicher? Ziemlich rasch war mir klar, dass ich dafür keinen Grund mehr hatte – einen Schritt rückwärts wollte ich keineswegs tun, ich hatte bereits mehr als acht Jahre bewusst auf diesen Moment gewartet, Tränen vergossen, ihn mir ausgemalt... Nein, für mich gab es kein Zurück mehr.
Als ich schliesslich mit Handtasche, Rock, etwas anderer Figur und leicht geschminkt nach unten ging, hatte ich trotz allem wieder diese Angst vor dem Ungewissen, wenn auch nur leicht. Zuerst betrachtete mich der Exkursionsleiter etwas verwirrt, doch als ich ihn das zweite Mal sah, sagte er bloss, dass ich gut aussehe - der Damm war gebrochen. Selbst die Zöllner bei der Rückreise in die Schweiz betrachteten mich nur etwa eine Sekunde länger als die Anderen.
Kaum war ich wieder Zuhause, überkam mich jedoch die altbekannte Angst. Ich war mir zwar bewusst, dass ich keinesfalls einen Rückzieher machen würde, doch was, wenn mich jemand nicht akzeptieren würde? Ich blieb den nächsten Tag mit mittlerer Paranoia dem unterricht fern. AM Tag darauf jedoch gab ich mir den lange ersehnten Tritt und zum ersten Mal bestieg klein Sarah den Pendlerbus, von ihren Quartiersanwohnern der Kleinstadt mit Erstaunen betrachtet. Im Gymnasium angekommen musste ich als erstes einige Dokumente abheften, weshalb mich eine Lehrerin ansprach, da sie das selbe Gerät ebenfalls dringend benötigte. „Sind sie eine Schülerin von hier?“
Als ich schliesslich das Klassenzimmer betrat, waren zwar jene Schüler, welche mit auf der Exkursion waren, nicht weiter erstaunt, doch die anderen ziemlich verwirrt. Einige hielten mich gar für eine Austauschschülerin – Volltreffer!
Ich führte dann auch noch ein ausführliches Gespräch mit meiner Klassenlehrerin, welche bereits vor mir TS kannte, wobei die Geschichte der einen jedoch etwas tragisch geendet hatte, weshalb sie zuerst etwas besorgt war. Schliesslich konnte ich ihr jedoch ohne weitere Probleme erklären, dass alles in Ordnung sei und ich mich bloss entschlossen habe, meinen Weg zu gehen, was sie aufrichtig freute. Ein ähnliches Gespräch hatte ich noch mit einen zweiten Lehrer, es verlief ebenfalls bestens. Mittlerweile nennt mich der Grossteil der Lehrer und Schüler bei meinem weiblichen Namen, wenn dazu auch Unmengen an Erklärungen notwendig waren und ich häufig gar das Gefühl hatte, kurz vor der Verzweiflung zu stehen, wenn ich mit meinem männlichen Namen angesprochen wurde. Die am meisten verbreitete Frage war jedoch der altbekannte Klassiker, welcher bei mir immer von neuem für Belustigung sorgt: „Welche Toilette benutzt du nun eigentlich?“
So wie es im Moment aussieht, stehe ich nun kurz vor dem Beginn meiner Hormontherapie und dem Anfang meines Studiums. Ich könnte zwar sagen, das sich wirklich glück hatte, mein Outing in einem liberalen Gymnasium machen zu können, doch manchmal habe ich das Gefühl, dass es so oder so auf die eine oder andere Art klappen muss. Ich will nicht abstreiten, dass das Leben als leider noch ziemlich auffällige Transfrau in einer derart kleinen Stadt auch gewisse Kehrseiten hat – ich gehöre eindeutig zur lokalen Prominenz und werde nicht selten auch beleidigt oder belästigt – wenn ich auch mittlerweile mit arroganter überlegener Ignoranz oder schmerzlich treffendem Sarkasmus antworte. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass im grossen und Ganzen alles besser als erwartet gelaufen ist. Zu den restlichen Reaktionen denke ich mittlerweile bloss, dass Einstein bezüglich Dummheit wohl doch nicht ganz Unrecht hatte…
Nun, ich hoffe mit dieser kleinen Geschichte nicht ein neues Weblog eröffnet sondern einen einigermassen sinnvollen Beitrag verfasst zu haben, welcher solchen, die ein Outing planen, Mut machen kann…

PS: Wer nun denkt, dass bei mir alles in einer zeitlich sehr kurzen Abfolge geschehen ist, hat durchaus Recht. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass ich nach acht Jahren Wartezeit keine Lust mehr auf das ewige Versteckspiel hatte. Rückblickend war dieses halbe Jahr eine meiner chaotischsten Zeiten. Viele unterschiedliche Emotionen, dazu Notenstress und vieles mehr… doch eines habe ich gelernt: es ist erstaunlich, auf wie viel Toleranz ich gestossen bin und das Selbe wünsche ich allen anderen ebenfalls… Viel Glück auf eurem Weg, Mädels! Jede Schritt kann weh tun, verletzen oder in den Abgrund führen – doch jeder Schritt eröffnet ungeahnte Mengen an neuen Optionen und ein Stück mehr Lebensfreude…

Liebe Grüsse
Eine nun doch noch zu Bett gehende Sarah

Liebe Sarah,

ich finde es super toll, was Du hier für einen Beitrag leistest. Denn ist ein Beitrag nicht nur für alle, die sich im falschen Körper fühlen, sondern auch für den Rest der Szene. Ich finde, es sollte jeder seine Geschichte erzählen. Denn dann wissen all die Anderen, dass sie nicht allein sind. Respekt vor Dir und Deinem Mut. "Steh zu dem was Du bist!" ist die Einstellung, welche Dich glücklich macht.


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Diana
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Re: Rückblick auf ein bewegtes Halbjahr

#8 Beitrag von Diana » Mittwoch 23. Dezember 2009, 18:04

Liebe Sarah

Na so Geschichten hört man doch nur zu gerne. Bei mir lief auch alles extrem gut und schnell. Ich habe zwanzig Jahre dagegen angekämpft, als ich dann Anfang Jahr den Wechsel vollzog, gab es für mich kein Halten mehr - ich war gespannt wie ein Pfeilbogen und ging in entsprechendem Tempo ab. Auch in meinem Umfeld reagierten die Leute durchwegs positiv. Zwar zuerst irritiert, aber ich wurde in keiner Weise angefeindet.

Ich glaube, Leute die uns wirklich das Leben schwer machen wollen, sind relativ selten und wenn man solche im persönlichen Umfeld hat, muss man sie halt einfach abservieren.

In der Öffentlichkeit gibts natürlich diese obskuren Blicke, aber bisher wurde ich nicht ernsthaft angepöbelt und kann auch da nicht klagen.

Dir wünsche ich jedenfalls weiterhin alles Gute auf Deinem Weg....... und freu mich, Dich bei einem der nächsten Stammtische wieder zu sehen.

Liebi Grüess
Diana
Eigenartig
wie das Wort eigenartig
es fast als fremdartig hinstellt
eine eigene Art zu haben
(Erich Fried)

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