Kostenübernahme GAOP: Bundesgerichtsentscheid

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Sarah
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Kostenübernahme GAOP: Bundesgerichtsentscheid

#1 Beitrag von Sarah » Freitag 15. Februar 2008, 18:34

Hallo Zusammen :)

Habe letzthin etwas durch die Bundesgerichtsentscheide gekrämt und dabei was für alle gefunden, welche Probleme mit der Kostenübernahme der GAOP durch die Krankenkasse haben. Falls es dabei zu einem Rechtsstreit kommen sollte, können sie sich auf das untenstehende Urteil berufen. Dieses Urteil ist rechtsgültig und bindend.
BGE 105 V 180

Urteilskopf
105 V 180


42. Urteil vom 11. Juni 1979 i.S. H. gegen Schweizerische Grütli-Krankenkasse
und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste
Art. 12 KUVG, Art. 14 Abs. 1 Vo III. Begriff der Krankheit
(Zusammenfassung der Rechtsprechung). Beurteilung des Transsexualismus. (Erw.
1.)
Art. 12 Abs. 2 und 5 KUVG, Art. 21 Abs. 1 Vo III.
- Zulässigkeit der Subdelegation der bundesrätlichen Befugnis zur Bezeichnung
der Pflichtleistungen an das Eidgenössische Departement des Innern, soweit
wissenschaftlich umstrittene diagnostische oder therapeutische Massnahmen in
Frage stehen (Erw. 2b).
- Überprüfbarkeit der Departementsverfügung durch den
Sozialversicherungsrichter (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2c).
- Die operative Geschlechtsumwandlung gehört nicht zu den Pflichtleistungen
der Krankenkassen (Erw. 3).
Sachverhalt ab Seite 180
A.- Die Versicherte war im Jahre 1941 als Knabe geboren und
ins Zivilstandsregister eingetragen worden. Obwohl der Heranwachsende sich in
stets zunehmendem Masse als Frau und sexuell zu den Männern hingezogen fühlte,
verheiratete er sich. Die Ehe scheiterte und wurde geschieden. Die in den
Jahren
BGE 105 V 180 S. 181
1974/75 in der Psychiatrischen Universitäts-Poliklinik des Kantonsspitals
Zürich durchgeführten Untersuchungen bestätigten das Vorliegen von
Transsexualismus. In der Folge wurde an der Universitäts-Frauenklinik Zürich
eine Hormonbehandlung eingeleitet und am 10. Februar 1976 an der Urologischen
Klinik und Poliklinik der Universität Bern die operative Geschlechtsumwandlung
durchgeführt. Mit Entscheid vom 29. April 1976 bewilligte das Richteramt O.
eine Änderung des Personenstatuts im Zivilstandsregister mit Eintrag des Namens
C... Bereits im Oktober 1975 hatte die bei der "Schweizerischen Grütli"
Versicherte die Kasse um die Übernahme der Kosten der bevorstehenden
Geschlechtsumwandlungsoperation ersucht. Die Kasse unterbreitete die Frage
ihrer Leistungspflicht in der Folge dem Bundesamt für Sozialversicherung,
welches seinerseits an die Eidgenössische Fachkommission für allgemeine
Leistungen der Krankenversicherung gelangte. Diese vertrat an ihrer Sitzung vom
13. Mai 1976 die Auffassung, dass die operative Geschlechtsumwandlung keine
Pflichtleistungen der Krankenkassen begründe. Diesem Standpunkt schloss sich
das Eidgenössische Departement des Innern mit Verfügung vom 24. November 1976
an. Dagegen liess die Versicherte durch ihren Rechtsvertreter beim Bundesrat
Verwaltungsbeschwerde führen, verzichtete aber auf die Fortsetzung des
Verfahrens, nachdem sie von der Eidgenössischen Justizabteilung darauf
hingewiesen worden war, dass der Entscheid des Eidgenössischen Departements des
Innern keine beschwerdefähige Verfügung darstelle und somit auf das
Rechtsmittel nicht eingetreten werden könnte.
Mit Verfügung vom 4. Januar 1977 lehnte die "Schweizerische Grütli" die
Übernahme der Operationskosten für die Geschlechtsumwandlung unter Hinweis auf
die Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern ab.

B.- Beschwerdeweise liess die Versicherte die Aufhebung der Kassenverfügung
und die Übernahme der Operationskosten als Pflichtleistung beantragen. Sie
machte durch ihren Rechtsvertreter u.a. geltend, ein medizinischer Eingriff
müsse als solcher immer und vorbehaltlos als medizinisch anerkannte
Heilmassnahme gelten und es bestehe insoweit für den Entscheid der
Fachkommission bzw. des Eidgenössischen Departements des Innern kein Raum. Bei
der Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern handle es sich
lediglich
BGE 105 V 180 S. 182
um eine Verwaltungsanweisung, welche den Sozialversicherungsrichter nicht zu
binden vermöge.
Mit Entscheid vom 19. Januar 1978 wies das Versicherungsgericht des Kantons
Bern die Beschwerde ab. Es ging davon aus, dass die Leistungspflicht der Kasse
schon deshalb entfalle, weil die Transsexualität keine Krankheit im Rechtssinne
darstelle. Abgesehen davon erscheine die mit der Operation vorgenommene
körperliche Veränderung nicht als zweckmässige Behandlung der vorhandenen
psychischen Abwegigkeit.

C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte
C. H. ihr Begehren erneuern. Es wird daran festgehalten, dass der Verfügung des
Eidgenössischen Departements des Innern vom 24. November 1976 keine
verbindliche Wirkung zukomme, zumal sie auf einer unzulässigen Subdelegation
beruhe. Im Hinblick auf die vorangegangene längere psychiatrische Behandlung
könne der Krankheitscharakter nicht verneint werden. Über die Zweckmässigkeit
habe der Chirurg und nicht der Richter zu entscheiden; es komme auch nicht
darauf an, ob der Eingriff zu einem Erfolg führe. Das Bestehen ernsthafter
Erfolgschancen genüge.
Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach Auffassung des Bundesamtes besteht kein
Anlass, vom Entscheid des Eidgenössischen Departements des Innern, der sich im
gesetzlichen Rahmen halte, abzugehen. In materieller Hinsicht könne nicht in
Abrede gestellt werden, dass dem Leiden Krankheitswert zukomme. Die fragliche
Operation stelle jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche
Integrität dar, dem ein auf längere Sicht zumindest als problematisch zu
bezeichnender therapeutischer Erfolg gegenüberstehe.
Auszug aus den Erwägungen:
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
Erwägung 1
1.- Streitig ist die Leistungspflicht der Krankenkasse für
die am 10. Februar 1976 durchgeführte operative Geschlechtsumwandlung inkl.
Nachbehandlungskosten. Nach Auffassung der Vorinstanz entfällt der Anspruch auf
Kassenleistungen schon deshalb, weil das Leiden, auf das der umstrittene
Eingriff gerichtet war, der sogenannte Transsexualismus, keine Krankheit im
Rechtssinne darstelle.
a) Das KUVG setzt den Begriff der Krankheit voraus, ohne ihn zu umschreiben.
Auch Art. 14 Abs. 1 Vo III hält lediglich fest, dass die Pflichtleistungen "im
Falle der Krankheit" gewährt
BGE 105 V 180 S. 183
werden müssten. Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen krankhafter
Zustände und Prozesse entzieht sich denn auch der Krankheitsbegriff einer
strengen juristischen Definition (BGE 101 V 71). Immerhin wird man von
Krankheit im Rechtssinne nur sprechen können, wenn Störungen vorliegen, die
durch pathologische Vorgänge verursacht worden sind (BGE 101 V 71, EVGE 1968,
S. 235). Im Bestreben, einen lückenlosen Versicherungsschutz in der sozialen
Unfall- und Krankenversicherung zu gewährleisten, verwendet das Eidg.
Versicherungsgericht in seiner neueren Praxis eine vom Unfallbegriff her
gewonnene, negative Umschreibung des Krankheitsbegriffs: als Krankheit gilt
danach eine Schädigung der physischen oder psychischen Gesundheit, die nicht
auf einen Unfall oder dessen direkte Folgen zurückzuführen ist (BGE 102 V 132
f. mit Hinweisen).
b) Transsexualismus wird umschrieben als Drang, durch eine - meist
chirurgische - Geschlechtsumwandlung dem anderen Geschlecht angehören zu können
(UWE HENRIK PETERS, Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie,
2. Aufl., S. 532). Diese Grundveranlagung kann, wie der im unveröffentlichten
Urteil i.S. A. vom 3. September 1976 wiedergegebenen gutachtlichen
Stellungnahme des Psychiaters Dr. med. K. zu entnehmen ist, sekundär zu
neurotischen Fehlentwicklungen oder schweren, beispielsweise psychopathischen,
den gesamten Charakter prägenden Anomalien führen. Dass bei der
Beschwerdeführerin eine ernstzunehmende psychische Konfliktsituation bestand,
ist nicht von der Hand zu weisen und wird u.a. dadurch bestätigt, dass seit
1974 eine psychiatrische Behandlung notwendig war. Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz ist deshalb im vorliegenden Fall der transsexuellen Veranlagung,
welche zum umstrittenen Eingriff geführt hat, Krankheitswert beizumessen.
Dementsprechend war die Kasse grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer
gesetzlichen und statutarischen Leistungspflicht für die Behandlung des Leidens
aufzukommen.
Erwägung 2
2.- a) Gemäss Art. 12 Abs. 2 KUVG haben die Krankenkassen
sowohl bei ambulanter Behandlung (Ziff. 1) als auch bei einem Aufenthalt in
einer Heilanstalt (Ziff. 2) u.a. für die ärztliche Behandlung und die
wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen aufzukommen. Abs. 5 dieses
Artikels ermächtigt den Bundesrat, nach Anhören einer von ihm bestellten
Fachkommission (Art. 26 Vo III) die gemäss den vorgenannten Bestimmungen
BGE 105 V 180 S. 184
als ärztliche Behandlung und wissenschaftlich anerkannte Heilanwendungen zu
übernehmenden Leistungen zu bezeichnen. Nach Art. 21 Abs. 1 Vo III umfasst die
zur gesetzlichen Pflichtleistung gehörende ärztliche Behandlung die vom Arzt
vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen
Massnahmen. Soweit es sich um wissenschaftlich umstrittene Massnahmen handelt,
hat der Bundesrat den Entscheid, ob diese als Pflichtleistungen zu übernehmen
sind, an das Eidgenössische Departement des Innern delegiert (2. Satz).
Gestützt darauf und nach Einsichtnahme in den Entscheid der Eidgenössischen
Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung vom 13. Mai
1976 hat das Eidgenössische Departement des Innern am 24. November 1976
verfügt, dass die operative Geschlechtsumwandlung keine Pflichtleistungen der
vom Bunde anerkannten Krankenkassen begründe (vgl. RSKV 1976, S. 217 f.). Es
fragt sich, ob und inwieweit diese Verfügung den Sozialversicherungsrichter bei
der Beurteilung der vorliegenden Streitfrage bindet.
b) Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, die Verbindlichkeit des
Departementsentscheids müsse schon deshalb in Frage gestellt werden, weil er
auf einer unzulässigen Subdelegation beruhe. Dieser Einwand ist nicht
stichhaltig. Wie die Eidgenössische Justizabteilung in ihrem Schreiben vom 18.
April 1977 zutreffend festgehalten hat, stellt der fragliche Erlass des
Eidgenössischen Departements des Innern, obwohl als "Verfügung" bezeichnet,
eine generell-abstrakte Norm, einen Rechtssatz dar. Gemäss Rechtsprechung ist
die Subdelegation von Rechtssetzungsbefugnissen an ein Departement zulässig,
wenn sie sich auf Vorschriften vorwiegend technischer Natur bezieht und kein
Rechtsgrundsatz - namentlich des Verfassungsrechts - in Frage steht (BGE 101 Ib
74 f. mit Hinweisen; 105 V 23). Unter diesem Gesichtswinkel ist es nicht zu
beanstanden, wenn der Bundesrat in Art. 21 Abs. 1 Vo III die ihm übertragene
Kompetenz zur Bezeichnung der Pflichtleistungen, soweit es sich um
wissenschaftlich umstrittene diagnostische und therapeutische Massnahmen
handelt, an das Eidgenössische Departement des Innern subdelegiert hat.
c) Bei den auf Grund der erwähnten Subdelegation erlassenen Verfügungen des
Eidgenössischen Departements des Innern betreffend Pflichtleistungen nach Art.
12 Abs. 5 KUVG
BGE 105 V 180 S. 185
handelt es sich demnach um Rechtsverordnungen, die als solche für den Richter
verbindlich sind, ausser sie würden sich als nicht gesetzeskonform erweisen.
Dabei muss dem Eidgenössischen Departement des Innern, das sich seinerseits
durch eine Fachkommission beraten lässt, in der Frage, ob bestimmte ärztliche
Behandlungen oder Heilanwendungen als wissenschaftlich anerkannt zu gelten
haben, ein gewisser Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. Der
Sozialversicherungsrichter wird deshalb eine solche Verfügung nur dann als
gesetzwidrig bezeichnen und ihr die Anwendung versagen, wenn sie auf einer
klaren Fehlbeurteilung beruht, d.h. insbesondere im Falle einer willkürlichen
Beurteilung der Frage der wissenschaftlichen Anerkennung einer Massnahme (vgl.
das in RSKV 1970 Nr. 59 veröffentlichte Urteil Agnolini vom 29. Dezember 1969).
Erwägung 3
3.- Nach der Rechtsprechung gilt eine Behandlungsart dann als
bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechend, wenn sie von
Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis
anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im
Bereich einer bestimmten Therapie (EVGE 1962, S. 116, unveröffentlichtes Urteil
vom 26. April 1974 in Sachen Flückiger, vgl. auch BGE 102 V 76). Obwohl mit
einer operativen Geschlechtsumwandlung physische Änderungen vorgenommen werden,
zielt dieser Eingriff ausschliesslich auf die Behandlung eines psychischen
Leidens. Was die längerfristigen Erfolgsaussichten betrifft, finden sich indes
in der einschlägigen Fachliteratur skeptische Stimmen (vgl. z.B. BLEULER,
Lehrbuch der Psychiatrie, 12. Aufl., S. 570), weshalb das Eidgenössische
Departement des Innern weder den Rahmen der Kompetenzdelegation nach Art. 12
Abs. 5 KUVG gesprengt noch von seiner Kompetenz willkürlichen Gebrauch gemacht
hat, wenn es aus den in RSKV 1976, S. 217 f. dargelegten Gründen die operative
Geschlechtsumwandlung von den Pflichtleistungen ausgenommen hat. Das Eidg.
Versicherungsgericht hat deshalb keinen Anlass, die Verfügung als gesetzwidrig
zu erklären und sie deswegen nicht anzuwenden.
Erwägung 4
4.- Die statutarische Leistungspflicht der Kasse geht im
vorliegenden Fall nicht über das gesetzlich gebotene Mass hinaus, so dass auch
aus dieser Sicht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten der durchgeführten
Geschlechtsumwandlungsoperation
BGE 105 V 180 S. 186
besteht (Art. 6 Ziff. 1 lit. b des Leistungsreglements).
Dispo
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
Liebe Grüsse
Sarah
Those who talk about crazy things are doubtless to be questioned.
Those who actually do crazy things are to be admired or shot on sight.
http://creepygirl.wordpress.com/

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