Transen und die Welt

Probleme in der Partnerschaft, Outing und Alltag, Kontakte und Beziehungen
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Cornelia_D

Transen und die Welt

#1 Beitrag von Cornelia_D » Dienstag 15. Februar 2005, 20:38

Warum sind wir so? Dürfen wir das? Was sagen die anderen? Das sind Fragen, die sich alle Transidenten irgendwie für sich beantworten müssen, um problemlos leben zu können.<br>Im folgenden Aufsatz beantwortet Monique du Mont diese Frage für sich.

Transen und die Welt

Es fällt mir einfach schwer, eine rationale Erklärung dafür zu finden, warum es zum Großteil aus männlicher, aber zu einem gewissen Prozentsatz auch aus weiblicher (Mannsfrauen) Sicht für die Frau im gewissen Sinne ein gesellschaftlicher Aufstieg sein soll, wenn sie im Business-suite herumläuft, dasselbe aber nicht für den Mann gelten solle, wenn er es beispielsweise vorzieht, einmal im hübschen Röckchen und mit eleganten Stöckelschuhen zur Arbeit oder sonst wohin zu gehen. Die einzig logische Schlussfolgerung die ich anbieten kann, ist, dass die Frau in der Hierarchie noch immer unter dem Manne steht und folglich noch immer nicht gleichberechtigt ist. Wer sollten also die besten Verbündeten der Frauen sein? Natürlich die Transen! Selbstverständlich gilt dies auch umgekehrt. Ich bin auch kein Mathematiker, aber rein rechnerisch ist die aus Frauen, die ja etwa 55% der Weltbevölkerung ausmachen (jaja, Östrogen gibt Kraft..) und Transen, bi- und homosexuellen Männern gebildete Summe um einiges höher als die Anzahl der"Normalomänner". "Cum viribus unitis" kann ich da nur sagen.

Es ist genau jetzt an der Zeit, dass wir Transen rausgehen in die Öffentlichkeit. Schluß mit dem Versteckspiel. Vielleicht kommt gerade in diesem Augenblick, da ich diese Zeilen schreibe mein kämpferisches männliches Ego zum Vorschein, aber nichts desto trotz beharre ich darauf, dass es nicht die Transen sind, die sich zu verstecken haben. Nicht die sensiblen und sozialen Menschen sollten sich verstecken. Es sind die negativ aggressiven Politiker, Priester, Militärs und dergleichen, die sich im stillen Kämmerlein einsperren und darüber meditieren sollten, was sie gemeinsam mit ihren Vorgängern aus dieser wunderschönen Mutter (ein schönes weibliches Wort, nicht wahr?) Erde gemacht haben. Eventuell helfen ein Paar halterlose Strümpfe und hochhackige Schuhe ein wenig auf die Sprünge? Ich gebe zu, dass ich selber zwar etwa einmal in der Woche en femme unterwegs bin, es jedoch bislang rein aus beruflichen Gründen unterlassen habe, als Monique unser Haus zu verlassen. Meine materielle Existenz will ich nicht riskieren. Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist, dass es selbstverständlich kaum jemandem von uns möglich ist, seine Transidentität kompromisslos auszuleben. Es sei denn man/frau ist transsexuell. Was das outing von Transsexuellen betrifft, so gibt es wohl kaum Menschen, die ich mehr bewundere. Sie tragen bestimmt am meisten dazu bei, dass die Gesellschaft toleranter wird; nämlich genau in ihrem direkten Umfeld geben sie ihren Mitmenschen die Gelegenheit zu erfahren, dass einerseits die alte Werteordnung bzw. Rollenverteilung anzuzweifeln und ihr Gegenüber ein Mensch ist, der eigenverantwortlich sein Schicksal in die Hand genommen hat und gerade deswegen ein so lieber Zeitgenosse ist (es gibt nur wenige Ausnahmen). Aber jeder Beitrag zählt. Im Prinzip ist es auch ganz egal, wenn du deine 'weibliche Seite' nur zuhause auslebst, denn es macht dich zu einem glücklicheren und entspannteren Wesen, welches schon allein dadurch sein Umfeld positiv beeinflusst. Allerdings verwehre ich mich ein wenig gegen den Terminus weibliche Seite ausleben, wenn mir eine Transe berichtet, dass sie gerade in weiblicher Kleidung zuhause sitzt. Ich glaube zwar zu wissen, dass sie in Wirklichkeit meint, durch ihre Kleidungswahl der ansonsten im Alltag unterdrückten Kreativität, Liebe, Wärme und Verspieltheit Ausdruck zu verleihen. Aber sind sich auch alle Tgirls dessen bewusst? <br> <br>Ich finde es aus mehreren Gründen so toll, als Frau unter die Leute zu gehen, sei es untertags beim Shoppen und Spazierengehen oder nachts beim Ausgehen.

Einerseits erfährt man sich als Frau in der Öffentlichkeit ganz neu. Man bewegt sich bewusster, achtet mehr auf seine eigenen Verhaltensmuster, auf seine Mitmenschen und darauf, wie man reflektiert. Ich wage zu behaupten, dass dieses bewusste "im Trubel gegen den Strom schwimmen", wie ich es so gerne bezeichne, zur Zeit (noch) nur ganz wenigen Menschen möglich ist. Der Großteil der Menschen befindet sich in einem unbewussten Tiefschlaf. Die Transe nicht, sie erlebt jede Situation (v.a. bei den ersten Outdoor-Erfahrungen) als absolutes Abenteuer, als Wechselbad der Gefühle. Was für eine Chance zur Selbstfindung!

Andererseits verbessert jede Outdoor-Erfahrung den Umgang mit den Mitmenschen. Man lernt plötzlich, dass kein Mensch von Grund auf böse ist, sondern, dass du zu mindestens 50% mitverantwortlich für die Ausgestaltung deiner zwischenmenschlichen Beziehungen bist. Noch nie, wirklich noch nie habe ich eine negative Erfahrung als Monique gemacht. Mit 1,91 m Körpergrösse (und Kraftsport), meiner Frisur und Kleidung bin ich eine sicherlich imposante Erscheinung. Zwar versichern mir meine Freundinnen allesamt, dass selbst absolute Insider es schwer hätten zu erkennen, um welche Art von Mädchen es sich bei mir handelt. Dies gilt meiner Meinung nach uneingeschränkt nur wenn ich sitze (hihi). Ich sehe keinen Grund, warum ich meine zwar als Monique stets sanftere Stimme künstlich höher ertönen lassen sollte; und so ist beispielsweise für jede 1,60 m große Verkäuferin spätestens wenn ich frage ob es den Rock auch in 42 gibt, klar, dass die mit Schuhwerk etwa 1,98 m große Dame vor ihr ein kleines Geheimnis hat (oh, wie doppelbödig. Hihi). Aber gerade diese Situationen liebe ich so. ein freundliches Lächeln, ein paar nette Worte und das Eis ist gebrochen. Es wird sich in jedem Laden, den ich betrete, nett um mich gekümmert. Oft höre ich wirklich nette Komplimente, die, weil sie von Frauen und sohin von Expertinnen kommen, Labsal für mein zugegebenerweise sehr eitles Wesen sind (wäre ich sonst eine echte Transe?). Manche Dame holt sich Stylingtips von mir. Es ist das Selbstverständnis, das Selbstbewusstsein und die Art des Umganges, die zu solchen Erlebnissen führen. Selbstredend spielt auch die Form des Stylings eine Rolle. Zwar gibt es auch schlecht gestylte Bios, nur fallen die eben nicht so auf. Hier gilt: Anerkannt und bewundert wird, was gut gemacht ist; egal ob du Mann, Frau oder etwas dazwischen bist. (Danke Elli für die Inspiration zu diesem Satz).

Dass wir in diesem Körper noch eine Zeit erleben, in der jeder Mensch zumindest tragen kann was er will ohne berufliche oder zwischenmenschliche Probleme zu kriegen, schliesse ich trotz allen OptimismusŽ aus. Von wirklich gelebter Freiheit rede ich noch gar nicht!

Aber zwei Aspekte können Mut geben, sich dennoch auf die eine oder andere Art als TG unters Volk zu mischen. Erstens löst jede von uns mit ihrer Erscheinung ein kleine Lawine aus. Menschen machen sich Gedanken über das, was sie sehen und sie erzählen es weiter. Allein, dass meine Familie und manche Freunde eingeweiht sind (alle haben überaus positiv reagiert), hat bestimmt nicht nur deren eigene Sichtweise verändert, d.h. deren Toleranzbereitschaft vergrößert, sondern sie tragen diese 'kleine Flamme' bewusst oder auch unbewusst weiter und andere erhalten wiederum die Chance zu lernen. Wenn also nicht unmittelbar wir selber von unseren Handlungen profitieren werden, so immerhin unsere Nachkommen.
Der zweite Aspekt ist, dass selbst wenn kein Mensch durch deine Präsenz etwas lernen sollte, du dir deiner selbst mehr bewusst wirst und es dir leichter fällt, zu dir zu stehen und dich selbst zu lieben so wie du bist.

Liebe zu sich selbst ist schliesslich das wichtigste im Leben, denn ohne sich selbst zu lieben, kann man auch keinen anderen wirklich lieben.

Mir ist klar, dass es sehr, sehr viele Möglichkeiten gibt, für mehr Toleranz und Liebe unter den Menschen zu sorgen. Da ich ein sehr praxisorientierter und realistischer Mensch bin, habe ich mir aber genau das oben beschriebene Gedankenkonzept zurechtgebastelt. Immerhin bin ich Transgender und war mir meiner nicht immer so bewusst (zu lernen habe ich noch viel..), wie ich es jetzt bin. Da ich nicht nur für mich selber, sondern auch für andere nützlich sein will, habe ich diesen Text verfasst. Ein Versuch, meine schöne Leidenschaft mit meinen weltverbesserischen Gedanken in Einklang zu bringen.

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